Herausforderungen beim Investieren ohne Tierversuche
Laut einer Umfrage des Vergleichsportals Verivox zählt für viele Menschen der Verzicht auf Tierversuche bei der nachhaltigen Geldanlage zu den wichtigsten Kriterien. Und tatsächlich finden sich viele Fonds, die ein entsprechendes Ausschlusskriterium anführen. Finanzprodukte zu finden, die tatsächlich ausschließlich in tierversuchsfreie Unternehmen investieren, ist jedoch schwieriger, als es zunächst scheinen mag.
Zunächst handelt es sich beim Phänomen Tierversuche nicht, wie die geringe Präsenz des Themas in öffentlichen Debatten nahelegen könnte, um eine im Verschwinden begriffene Randerscheinung. Ganz im Gegenteil: Täglich werden an sehr vielen Orten der Welt Experimente mit Tieren durchgeführt. Exemplarisch zeigt ein Blick in die schweizerischen Statistiken, auf welch stabilem Niveau sich die Anzahl der jährlich eingesetzten Versuchstiere eingependelt hat. Ein Abwärtstrend ist bislang nicht ersichtlich. In der Schweiz stellt das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) Daten zu Tierversuchen bereit. Demnach sind 2021 insgesamt 574’673 Versuchstiere eingesetzt worden, darunter 88’100 in der Industrie. Dies entspricht im Vergleich zum Vorjahr einem Zuwachs von +3,3%.
Das Ausschlusskriterium Tierversuche bei der nachhaltigen Geldanlage
Was lässt sich nun aus den Statistiken für das tierversuchsfreie Investment lernen? Wird zum Beispiel die Datenbank zum FNG-Nachhaltigkeitsprofil herangezogen, ergibt die aktuelle Abfrage nach dem Kriterium Tierversuche unter den 627 Fonds genau 258 Treffer. Bedeutet dies nun, dass diese 258 Fonds ausschließlich in Unternehmen investiert sind, die nicht mit Tierversuchen in Zusammenhang stehen? Um dieser Frage auf den Grund gehen zu können, reichen die Informationen aus dem FNG-Nachhaltigkeitsprofil nicht aus. Vielmehr muss eine Ebene tiefer angesetzt werden, nämlich bei den Nachhaltigkeits-Leitlinien der Anbieter, wo die Kriterien genauer definiert sind.
Aus der Untersuchung dieser Leitlinien lässt sich schlussfolgern, dass fast alle untersuchten Anbieter (notwendige) medizinische oder biomedizinische Forschung an Tieren explizit von den Ausschlusskriterien ausnehmen. Ausnahmslos alle Formulierungen sind so weit gefasst, dass Gegenteiliges zumindest nicht zwingend unterstellt werden kann. Damit ist festzustellen, dass die Mehrzahl der Tierversuche nicht ausgeschlossen ist, weil diese statistisch betrachtet vor allem auf die Forschung und insbesondere die Grundlagenforschung entfällt. Besonders ins Auge sticht, dass gesetzlich vorgeschriebene Tierversuche fast durchweg erwähnt und Unternehmen, die diese vornehmen, nicht ausgeschlossen werden.
Mit dem im Dezember 2022 von Präsident Joe Biden unterzeichneten FDAModernization Act 2.0 sind hingegen auf der anderen Seite des Atlantiks ganz generell Methoden, die Tierversuche ersetzen können, gestärkt worden. Als Grund, der diese Gesetzesänderung erforderlich gemacht hat, werden Fortschritte in der Wissenschaft bezüglich der Alternativmethoden angeführt, die zudem unter anderem versprechen, kostengünstiger zu sein. Zweifellos ist der FDA Modernization Act 2.0 für den Tierschutz ein Erfolg – wenn auch Änderungen nicht über Nacht zu erwarten sind, wie berichtet wird.
Fazit
Auch wenn es mit Blick auf Tierversuche nach wie vor tragische Dilemmata gibt – wie es die einflussreiche zeitgenössische Philosophin Martha Nussbaum in ihrem Buch «Gerechtigkeit für Tiere. Unsere kollektive Verantwortung» ausdrückt – spricht ein erdrückendes Ausmaß an Belegen dafür, dass wir weit hinter unseren Möglichkeiten bleiben, Tierversuche dort, wo es möglich ist, durch alternative Methoden zu ersetzen – ganz abgesehen davon, dass es vielmals bessere und zugleich kostengünstigere Lösungen gäbe. Die Wissenschaft sollte hierzu ihre Forschung forcieren und alte Dogmen aktiv hinterfragen. Die Politik kann und sollte sich mit einer quantitativ glaubwürdigen Forschungsförderung und weiteren regulatorischen Maßnahmen einbringen. Unternehmen sollten im Hinblick auf Tierversuche, die über gesetzliche Anforderungen hinausgehen, transparenter werden und sich auch in der Kooperation mit der Wissenschaft für alternative Methoden einsetzen. Und ethisch nachhaltige Investoren schließlich müssen ihre Möglichkeiten stärker nutzen, die sich ihnen bieten sowohl im Rahmen der Anlageentscheidung als auch dann, wenn sie sich nach umsichtiger Abwägung zu einem Investment entschlossen haben.
Aktuell scheint es häufig Praxis zu sein, dass Fonds mit dem Ausschlusskriterium Tierversuche faktisch in Unternehmen investiert sind, die potenziell im Rahmen der Grundlagenforschung über gesetzliche Anforderungen hinaus Tierversuche unterstützen. Eine Welt ohne Tierversuche, wie sie auch der eng mit dem 3R-Konzept verknüpfte Nuffield Council on Bioethics als letztliches Ziel angibt, ist jedoch möglich.
Lösungen, die sich hierfür bieten, sollten verstärkt ergriffen und aktiv weiterentwickelt werden. Dabei sollte potenzieller Gegenwind, auch von einer milliardenschweren Tierversuchs-Industrie, die an tierversuchsfreien Methoden natürlicherweise wenig Interesse hat, nicht unterschätzt werden.
Ethius Invest